Interaktives Buch
5. Die Relevanz von psychologischen Faktoren im Wissensmanagement
5.1. Unternehmenskultur ist der entscheidende Faktor
00:00:01 - 1.5.1 Unternehmenskultur ist der entscheidende Faktor im Wissensmanagement
00:12:51 - 1.5.2 Relevante Aspekte für die Wissensmanagement-Kultur
Im weitesten Sinne steht und fällt jedes WM-System mit der Unternehmenskultur, wovon die Wissenskultur eine Teilmenge ist.
Unter Unternehmens-/Verwaltungskultur verstehen wir die gesamten Einstellungen, Überzeugungen und Werte eines Kollektivs, die zu einem Verhalten von einzelnen Gruppenmitgliedern und/oder einer gesamten Gruppe führen [Bellinger 2007, S.31]. Die Abbildung 1/6 zeigt die Komponenten eines Wertesystems in Verwaltungen.
Bei der Wissenskultur handelt es sich dann um einen spezifischen Teil der Unternehmenskultur. Die Wertschöpfung eines Unternehmens wird massiv davon beeinflusst, wie schnell die Mitarbeiter lernen, worauf es ankommt, was Erfolg bringt, womit der einzelne seinen Mehrwert für das Unternehmen erzeugt. In Hinblick auf das Wissensmanagement ist der wichtigste Unternehmenskultur-Faktor die Offenheit sämtlicher Mitarbeiter, Wissen (nicht nur Information) rasch und transparent zur Verfügung zu stellen und/oder abzufragen.
Entscheidend ist also eine Kultur der gegenseitigen Hilfsbereitschaft, die es aufzubauen gilt.
Das könnte so funktionieren, dass ein so genannter "Wissensträger" zu einem "Best Practice"-Anlass einlädt, in welchem er seinen Kollegen erklärt, wie er die vorhandenen Informationen nutzt und sie mit seinem impliziten Wissen verbindet. Er lässt sich also beim Denken zuschauen. Voraussetzung ist allerdings, dass ihm selber bewusst ist, was er tut und dies klar kommunizieren kann ("Gläserner Hinterkopf").
Kulturfaktor 1: Die Kommunikationskultur
Wissen muss kommuniziert werden. Eine Datenbank kann diesen Prozess lediglich unterstützen. Entscheidender ist es, ob im Unternehmen eine Kultur der ständigen Kommunikation existiert und vom Management auch gefördert wird. Die horizontale Wertschöpfung durch Kollegialität (Hilfe suchen, Ratschläge erteilen, Best Practice, Querbefruchtungs-Workshops) soll durch konsequentes Management in der vertikalen Wertschöpfung ergänzt werden (schlanke Strukturen, Benchmarkingsysteme, Transparenz, Anreizsysteme).
Gerade für den Transfer des überaus wichtigen impliziten Wissens ist entscheidend, dass Menschen sich begegnen, dass Meetings dazu genutzt werden, nicht einfach Informationen auszutauschen, sondern Wissen.
Kulturfaktor 2: Die Fehler- und Feedback-Kultur
In der Pädagogik ist seit langem mit zahlreichen Studien belegt, dass Angst lernbehindernd wirkt. Je angstfreier eine Unternehmenskultur ist, desto geringer deshalb die Fehlerquote respektive desto höher die Quote der rasch korrigierten Fehler. Es ist deshalb ein absolutes Muss für Unternehmen, welche eine hohe Verteilung des vorhandenen nützlichen Wissens fördern wollen, ein Klima der Angstfreiheit zu schaffen. Nur dann ist es möglich, eine zielführende Fehler- und Feedback-Kultur aufzubauen.
Ein Klima der Angstfreiheit entsteht,
- wenn Manager ihre Vorbildfunktion wahrnehmen und selber eigene Fehler transparent machen
- wenn grundsätzlich ein Klima der gegenseitigen Wertschätzung herrscht
- wenn häufig gelobt wird, Leistung also anerkannt wird
Kulturfaktor 3: Die Führungskultur
Manager, die Hilfsbereitschaft horizontal und vertikal vorleben, finden innerhalb ihres Unternehmens bald Nachahmer. Aufgabe der Manager ist es Bedingungen zu schaffen, unter denen sich Mitarbeiter gegenseitig helfen können. Die Zielvorgabe ist die "Querbefruchtung" und beinhaltet Elemente des Förderns und des Disziplinierens. Die Förderung von Beziehungen unter den Mitarbeitern, auch über die eigene Organisationseinheit hinaus, führt dazu, dass sie im Bedarfsfall wissen, welche Kollegen sie um Unterstützung bitten können.
Kulturfaktor 4: Die Erfolgskultur
Die menschliche Spezies lernt leichter durch das Kopieren von Erfolgen als aus der Vermeidung von Fehlern. Daraus lassen sich mehrere Schlüsse ziehen.
Erstens: Feedback darf nicht nur Negatives thematisieren, sondern muss genauso auch das Positive ansprechen - Lob beflügelt.
Hat ein Mitarbeiter mit einem bestimmten Vorgehen Erfolg, so soll er es allgemein bekannt machen - der "Best Practice"-Ansatz.
Der größte Feind der Erfolgskultur sind also Neid und Missgunst. Diese Haltung, die oft durch eine Kultivierung des Wettbewerbs unterstützt wird, kann nicht bekämpft, sondern nur substituiert werden: Durch Betonung des gemeinsamen Erfolges, durch eine Haltung des gegenseitigen Erfolgreichmachens, durch permanentes Lob.
Kulturfaktor 5: Die Prozesskultur
Welches KM-System in Unternehmen auch immer einführt: Es wird ein Nachfolgemodell sein und löst ein bestehendes, meist informelles, auf persönlichen Beziehungen basierendes und mit Fehlern behaftetes ab. Jeder Mitarbeiter hat längst sein persönliches Wissensmanagement-System aufgebaut: entsprechend seinen persönlichen Standpunkten oder Standorten, basierend auf einem persönlichen Netzwerk, das ihm beim Lernen hilft.
Nur wenn für den Mitarbeiter bewusst ist, dass das offizielle WM-System einen höheren oder einen zusätzlichen Nutzen zu seinem eigenen selbst gestrickten WM-System bietet, wird er es nutzen oder (bei entsprechendem Druck) auch füttern.
Ein WM-System muss also nicht nur regelmäßig kontrolliert (Fütterung und Nutzung) und weiterentwickelt werden, sondern es braucht auch ein eigentliches Marketing. Sonst verkommt es bald zum "Datenfriedhof".
Viele Mitarbeiter sehen nur den Aufwand, den das Füttern einer Wissensdatenbank mit sich bringt. Außerdem haben Sie schon längst ihre Methoden entwickelt, um selber zu ihrem benötigten Wissen zu kommen. Häufig benutzen sie dazu "menschliche Portale", Mitarbeiter, die über ein besonders engmaschiges Beziehungsnetz innerhalb des Unternehmens oder darüber hinaus verfügen und einen gewaltigen Erfahrungsschatz besitzen. Diese mutieren dann gerne zur internen Hotline, was zwar eine hohe Befriedigung in der Helfer-Rolle verschafft, den Betreffenden aber auch von seiner eigenen Arbeit abhält.
Man sollte solche "menschlichen Portale" im Unternehmen fördern und sie dafür auch prozentual freistellen - ihr Aufgabenportfolio und ihre persönlichen Ziele also offiziell ihrer realen Tätigkeit anpassen. Im Vergleich zu starren Datenbanken besitzen sie den Vorteil, Probleme bewerten zu können und aus einer Reihe von potenziellen Ansprechpartnern den geeignetsten auswählen zu können.
So gesehen wird für die meisten Mitarbeiter die Benutzung einer Wissensdatenbank immer zweite Wahl sein, eine Fallback-Solution, wenn er keinen menschlichen Auskunftgeber findet.